MRKH.eu - MRKH Syndrom Erfahrungsberichte
MRKH Erfahrungsbericht von Veronika, 27
MRKH und ich - ein Erfahrungsbericht
Hey Du, ja genau Du 😊
Schön, dass Du den Weg hierher gefunden und diesen Bericht geöffnet hast. Ich möchte dir gerne von meinen Erfahrungen erzählen, von meinem Weg und Umgang mit MRKH.
Vielleicht stehst Du erst ganz am Anfang, hast gerade erst die Diagnose erhalten. Vielleicht weißt Du auch schon sehr lange davon und hast dir nun ein Herz gefasst, dich genau jetzt mit dem Thema auseinander zu setzen.
Vielleicht hast Du jetzt, nach Jahren der Suche, endlich eine Plattform mit Gleichgesinnten gefunden. Ich möchte dir mit meinem Bericht Mut machen, auch wenn ich bewusst nichts beschönige und nicht immer alles einfach ist und war. Aber meine Erfahrungen haben mich gestärkt.
Von der Diagnose bis zur OP
"Mayer-Roki-was? Was ist das für ein langer Name, den man nicht aussprechen kann?"
Ich bin Veronika, 27 Jahre alt und ich habe eine eineiige Zwillingsschwester. Ich wusste von
Geburt an, dass ich nur eine Niere habe, aber ich lebte bis auf häufige Blasenentzündungen in
meiner Kindheit immer ohne Einschränkungen und hätte nie gedacht, dass die fehlende Niere
einmal wichtig werden könnte.
Meine Schwester ist kerngesund und bekam ihre Periode mit 13 - ich nicht. Zunächst war ich
super froh, dass es mich noch nicht "getroffen" hatte, aber je mehr Zeit verging, desto größer
wurde ein Gefühl der inneren Unruhe. Ich rechnete im Prinzip jeden Tag damit, dass ich meine
Tage bekommen würde, denn es konnte ja nicht sein, dass ich sie nicht bekam und meine
Schwester schon. Ich wurde zunehmend unsicherer, war aber insgeheim auch heilfroh, mich nicht
mit dem lästigen Thema auseinandersetzen zu müssen.
Ab dem Alter von vielleicht 14 Jahren hatte ich immer wieder mehr oder weniger regelmäßig
heftige und tagelange Bauchkrämpfe, die ich nicht zuordnen konnte, aber die Blutungen blieben
aus. Heute weiß ich, dass es Regelschmerzen waren. Meine Hausärztin riet mir, ruhig zu bleiben
und vermutete, dass mein Körper "übe". Ihre Tochter habe ihre Tage auch erst mit 18 bekommen.
Trotzdem lies es mir - oder vielmehr meiner Mutter - keine Ruhe und so saß ich kurz vor meinem
16. Geburtstag zum ersten Mal bei einer Frauenärztin. Ich sollte mich dort einfach mal
vorstellen, vielleicht würde sie etwas durch ein Hormonscreening herausfinden. Das war im Dezember 2009.
Der Besuch bei der Gynäkologin war sehr prägend, weil sie sofort einen Verdacht hatte, als ich
ihr eigentlich eher so nebenbei von meiner Nierenfehlbildung erzählte. Zur Sicherheit wurde
noch ein MRT gemacht, aber Ende Januar 2010 war klar: Ich wurde mit dem MRKH-Syndrom
geboren. "Mayer-Roki-was? Was ist das für ein langer Name, den man nicht aussprechen kann?",
dachte ich mir damals.
Ehrlich gesagt kann ich mich an die ersten Wochen nach der Diagnose gar nicht richtig erinnern,
auch nicht daran, was ich gefühlt habe, als ich die Diagnose bekam. Ich weiß nur noch, dass
meine Zwillingsschwester deswegen sehr geweint hat, und auch meine Großeltern, meine Tante
und meine Cousine haben davon erfahren. An deren Reaktion erinnere ich mich allerdings nicht
mehr. Meine Mutter recherchierte viel über die Diagnose und Behandlungsmöglichkeiten und
kümmerte sich auch um einen Termin in Tübingen. Die Klinik hatte meine Ärztin empfohlen.
Meiner Mutter begleitete mich später zu allen Terminen und auch währender der Zeit im
Krankenhaus. Ich glaube, das war ihr Weg, mit der Diagnose umzugehen und die Sache "besser"
zu machen und mit ihren Schuldgefühlen, irgendwas falsch gemacht zu haben, "zurecht zu kommen".
Denn sie ahnte wahrscheinlich schon damals, welche Bedeutung die Diagnose hat.
Sie hat mich mit ihrer Fürsorge aber ehrlich gesagt auch manchmal sehr erdrückt und auf Dauer
fand ich das damals ganz schön anstrengend. Heute weiß ich, dass sie es nur gut gemeint hat und
alles zu meinem Besten wollte. Und ich bin rückblickend sehr dankbar für die Unterstützung, die
ich von meiner gesamten Familie über die Zeit bekommen habe. Ich weiß, dass auch heute alle
für mich da wären und da sind.
Im April 2010 hatte ich meinen ersten Termin bei Frau Dr. Brucker und Frau Dr. Rall in Tübingen.
Ich habe mich bei beiden sofort sehr gut aufgehoben gefühlt. Nach der Untersuchung und
Aufklärung machten wir gleich einen OP-Termin für Juni aus. Es nützte ja nichts. Früher oder
später hätte die OP angestanden und so wäre es erledigt gewesen. Das war jedenfalls mein Gedanke damals.
Die OP und die Zeit danach
Weder die Tragweite der Diagnose, noch die Tragweite der Behandlung war mir bewusst.
Heute sage ich oft, dass ich dieses Jahr 2010 kaum bewusst erlebt habe, viele Erinnerungen und
Empfindungen fehlen mir. Und ich denke auch, dass ich keine Ahnung hatte, auf was ich mich da
eingelassen hatte. Weder die Tragweite der Diagnose, noch die Tragweite der Behandlung war
mir bewusst. Die Zeit im Krankenhaus hat mich rückblickend betrachte extrem überfordert.
Meine Mutter hatte sich extra eine Ferienwohnung genommen. Sie besuchte mich täglich und am
Wochenende besuchten mich auch mein Vater und meine Geschwister. Außerdem lief zu dem
Zeitpunkt die Fußball-WM in Südafrika - für Ablenkung war also gesorgt. 😊
Es lag auch nicht an dem sehr, sehr netten Pflegepersonal auf der Überwachungsstation, welches
sich hingebungsvoll um mich kümmerte, auch wenn ich in den ersten zwei Tagen nach der OP die
Nachwirkungen der Narkose spürte und nichts von dem, was ich zu mir nahm, in mir behalten konnte.
Vielmehr war es alles andere. Sei es das Abführen vor der OP, wo ich nicht wusste, wann ich
aufhören kann, das Zeug zu trinken, und nachts völlig verunsichert nach einer Krankenschwester
suchend über den Klinikflur irrte, um den Urin prüfen zu lassen; sei es die Schmerzen beim
Nachdrehen des Spannapparates oder der Umgang mit dem Phantom. Zudem war es mein erster
Krankenhausaufenthalt überhaupt, sodass alles für mich fremd war.
Die Zeit auf der Überwachungsstation war beim ganzen Aufenthalt die einfachste, weil ich noch
nicht selbst Verantwortung übernehmen musste. Das änderte sich, nachdem der Spannapparat
entfernt und mir das Phantom eingeführt worden war. Das erste Mal, als ich das Phantom selbst
entfernt habe, ist mir schwarz vor Augen geworden angesichts des vielen Blutes (zumindest kam
es mir so vor, als wäre es viel gewesen), das da aus mir herausströmte. Und auch zurück auf der
Normalstation habe ich mich sehr vor dem Umgang gefürchtet. Dort war eine sehr schroffe,
ältere Oberschwester, die nicht gerade viel Empathie für mich zeigte und bei meinem ersten Mal
"alleine auf Toilette" im Regen stehen lies. Heute kann ich sagen: es war besser so. Ich musste
den Umgang mit dem Phantom ja lernen.
Aus Angst vor Schmerzen beim Phantom herausnehmen habe ich extrem wenig getrunken, was im
Sommer natürlich eine tolle Idee war... und auch nicht gut für die Blase - eine Blasenentzündung
war die Folge. Trotzdem konnte ich nach 10 Tagen wie geplant das Krankenhaus verlassen.
Wieder zu Hause lernte ich, das Phantom und den Umgang damit in meinen Alltag zu integrieren.
Für die Schule hatte ich mir extra eine Box besorgt, in der ich alle Utensilien aufbewahrte, die
ich brauchte. Mit der Zeit kam auch das Reduzieren dazu, bei dem ich mich extrem schwer getan
habe. Akribisch habe ich darauf geachtet, dass Phantom immer etwas länger herauszunehmen.
Dass ich nachts damit anfing, war vermutlich nicht die beste Idee, denn nachts ist die
körperliche Belastung eine andere, als tagsüber - also quasi keine. Zudem hatte ich viel
Granulationsgewebe. Dementsprechend zählten Rückschläge wie kleinere Blutungen und
Schmerzen beim Wiedereinführen verbunden mit extremer Verunsicherung und einer
wachsenden Abneigung gegen das Phantom beim Prozess des Reduzierens dazu. Doch ich gab
nicht auf - und lernte, meinem Körper zu vertrauen, dass er sich auch nach vielen Stunden ohne
Phantom wieder daran gewöhnen würde. Und ich lernte, geduldig zu werden. Ich durfte meinen
Körper, aber auch mich nicht überfordern!
Ich weiß nicht mehr, wie lange sich das Reduzieren bei mir hingezogen hat. Ich schätze, 1,5
Jahre bestimmt. Da ich keinen Freund hatte, habe ich das Phantom auch viele Jahre nach der OP
immer mal wieder probiert, um zu schauen, ob es noch passt. Die Zeitabstände wurden dabei
immer größer. Das Phantom passte nicht mehr ganz, was, wie ich heute weiß, normal ist, weil
sich das Gewebe wie bei "normalen" Frauen auch, zusammenzieht. Aber meine Neovagina ließ
sich dehnen, was mir Sicherheit gab für den Fall, dass ich einen Mann kennenlernen und wir
vielleicht irgendwann intim miteinander werden würden.
Die Diagnose wird real und mein Umgang heute damit
Die ersten Jahre nach der OP habe ich das Thema MRKH und die Bedeutung dieser Diagnose
insgesamt sehr weit von mir weggeschoben. Ich hatte keine Gebärmutter, na und? Die OP hatte
ich auch schon geschafft also war alles paletti. Ich meldete mich ca. einen Monat nach der OP in
diesem Forum an, in dem ich meine ganze schlechte Laune und Verunsicherung wegen dem
Reduzieren herausließ, und mir Fragen beantwortet wurden, die mich beschäftigten. Ich war
aber gleichzeitig auch froh über die Anonymität, da ich das Forum einfach links liegen lassen
konnte, wenn ich mich nicht mit MRKH beschäftigen wollte. Ich glaube, ich hatte damals auch
kein wirkliches Interesse daran, mich zu intensiv mit dem Thema auseinanderzusetzen sonst
hätte ich die psychologische Betreuung in Tübingen wahrscheinlich ernster bzw. mehr in
Anspruch genommen. Ich war eben Mitten in der Pubertät und eine kleine Rebellin.
... ich [...] nahm zum ersten Mal an einem großen Hühnertreffen teil. Das war das Beste, was ich machen konnte!
Nach dem Abi zog es mich dann an den Bodensee, wo ich Nele ("Ellie") als erste Betroffene
persönlich kennenlernte. Sie nahm mich mit zu einem Treffen in der Schweiz, wo ich weitere
Betroffene kennenlernte. Ich habe an dem Abend fast nichts verstanden (Schwitzerdütsch war
nicht so meine Stärke 😉), trotzdem waren es sehr lustige Stunden. 😄
Nele erzählte mir auch von den jährlich stattfindenden großen Treffen. Ein Jahr später, 2015, fasste ich mir ein
Herz und nahm zum ersten Mal an einem großen Hühnertreffen teil. Das war das Beste, was ich
machen konnte! Ich war am Anfang sehr nervös und sehr unsicher, aber alle Mädels haben mich
sehr nett und herzlich aufgenommen und ich habe mich nach wenigen Stunden in dem Kreis sehr
wohlgefühlt! 😊
Seitdem war ich bei jeden Treffen dabei und ich habe sehr liebenswerte, wunderbare und
einzigartige Frauen und Mädchen kennengelernt. Auch wenn wir über die Treffen hinaus wenig
Kontakt haben, wage ich zu behaupten, dass wir eine sehr enge Bindung haben, weil uns die
Diagnose MRKH-Syndrom eint. Wir knüpfen gefühlt immer da an, wo wir beim Treffen zuvor
aufgehört haben. Ich finde es jedes Mal faszinierend zu sehen, dass Jede ihren eigenen Weg im
Umgang mit der Diagnose MRKH findet und auch einen eigenen Lebensplan entwickelt. Diesen
Austausch finde ich sehr bereichernd und es ist schön zu sehen, wie sich die Mädels
weiterentwickeln! Ich bin auch sehr dankbar dafür, die Entwicklungen auf ihrem Lebensweg
begleiten zu dürfen. 😊
Auch heute habe ich noch nicht den perfekten Umgang mit MRKH gefunden. Mich beschäftigt
nicht mehr die OP oder was ich "durchgemacht" habe, sondern viel mehr der Fakt, dass ich nicht
auf einem normalen Weg Mutter werden kann. Diese Entscheidung wurde mir aus der Hand
genommen. Es gibt Phasen, da berührt mich das überhaupt nicht, und dann gibt es Phasen, in
denen ich eine Frau mit Kinderwagen sehe und meine Welt gefühlt zusammenbricht. Aber ich bin
seit 3 Jahren in einer glücklichen Beziehung und glaube nach wie vor fest daran, dass ich mit
meinem Freund alles schaffen kann. Schließlich gibt es ja noch 2-3 andere Wege, um Mutter zu
werden, und das möchte ich sehr gerne. 😊
Er hat super reagiert, als ich ihm, noch bevor wir
zusammen kamen, von MRKH erzählte und meinte, dass ich deswegen keine andere Person für ihn
wäre. Das hat sich bis heute nicht geändert. 😊
Mit meiner Familie spreche ich ehrlich gesagt gar nicht über MRKH, weil mir das irgendwie zu
intim ist. Mir persönlich fällt es viel leichter, mit einer Freundin oder meinem Partner darüber zu
reden. Aber ich glaube, das ist auch in Ordnung so.
Rückblickend betrachtet würde ich mich wahrscheinlich wieder für die Vechietti-Methode
entscheiden und mich in Tübingen operieren lassen. Allerdings würde ich mir auch Zeit nehmen,
mich mit dem Thema auseinanderzusetzen und nicht so "blind" und kopflos alles machen
(lassen). Ich würde mich besser über die OP inklusive der Vorbereitung informieren und darauf
einstellen. Ich würde vor allem mein Tempo wählen, alles erst einmal sacken lassen und
schauen, was passiert. Aber als 16jährige war ich noch sehr naiv und habe "Ja und Amen" gesagt.
MRKH hat mich gestärkt und zu der Person gemacht, die ich bin.
Trotz aller Anstrengungen (körperlich und physisch) bin ich davon überzeugt, dass alles im Leben
aus einem bestimmten Grund passiert. MRKH hat mich gestärkt und zu der Person gemacht, die
ich bin. Wenn ich nämlich so drüber nachdenke, bin ich seit der Diagnose immer stärker und
erwachsener geworden, kann sehr reflektiert mit mir umgehen, und bin dies auch im Umgang
mit Menschen und allen möglichen Situationen (das bekommt mein Freund oft zu
spüren 😉). MRKH hat mich mit Menschen zusammengebracht, die ich sonst nie getroffen hätte.
Und wer weiß? Vielleicht darf ich irgendwann eine Kind großziehen oder sogar zwei. 😊
Vergiss nicht: Egal welchen Weg Du gehst oder gegangen bist, welche Entscheidung Du triffst
oder getroffen hast: es ist DEINE Entscheidung, und DEIN Weg. Lass dich von nichts und
niemandem unter Druck setzen, nimm dir Zeit, um auf DICH zu hören und dich mit der Diagnose
auseinanderzusetzen. Es ist okay, dass man auch mal traurig ist. Es ist okay, dass man neidisch ist
auf Frauen, die problemlos Kinder bekommen können. Es ist okay, dass man sich auch mal
zurückzieht und seine Gefühle für sich selbst ordnet. Genauso ist es okay, wenn man jedem von
seiner Diagnose erzählt und sehr offen damit umgeht.
Egal, welchen Weg Du gehst oder bisher gegangen bist: es ist Deiner und das macht ihn zum RICHTIGEN! 😊
Wir bedanken uns an dieser Stelle bei Veronika herzlich für ihren offenen und ermutigenden Bericht!
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